Industrielle Massentierhaltung – zu welchem Preis?
Versteckte Kosten in der industriellen Landwirtschaft
Studie der Universität Augsburg gibt Aufschluss
NICHT UM JEDEN PREIS. Die vom Aktionsbündnis „Artgerechtes München“ bei der Universität Augsburg in Auftrag gegebene Studie „Monetarisierung externer Effekte in der Landwirtschaft“ präsentiert deutliche Ergebnisse. Massenhafter Antibiotikaeinsatz in der industriellen Intensivtierhaltung, übermäßige Nitratbelastung des Trinkwassers durch Düngemittel: Viele Praktiken der industriellen Landwirtschaft verursachen immense „verdeckte Kosten“ aufgrund ihrer negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt, die aber in den Preisen, die wir für unsere Lebensmittel bezahlen, nicht oder nur ungenügend abgebildet werden. Was es mit den Folgekosten aufgrund von Antibiotikaresistenzen und Nitrat-/Stickstoffbelastung auf sich hat, das stellten die Wissenschaftler auf der heutigen Pressekonferenz in München vor:
„Bezüglich Antibiotikaresistenzen ist die Informationslage völlig unzureichend: Es gibt keine Meldepflicht, keine Transparenz: Wie viele mit multiresistenten Keimen aufgrund der Intensivtierhaltung Infizierte es tatsächlich gibt, kann niemand genau sagen – denn die Daten werden kaum erfasst«, erläutert M.Sc. Paulina Simkin von der Universität Augsburg. Viele Infektionen bleiben unentdeckt, da für Risikogruppen mit landwirtschaftlichem Tierkontakt keine Untersuchung verpflichtend ist. Es war den Wissenschaftlern der Universität Augsburg nicht möglich, exakte Aussagen über die gesellschaftlichen Folgekosten von Antibiotikaresistenzen aus der industriellen Intensivtierhaltung zu treffen.
„Ein Skandal“, findet Dr. Gerd-Ludwig Meyer, Humanmediziner und Mitbegründer der Initiative „Ärzte gegen Massentierhaltung“: „Factory Farming ist eines der größten Verbrechen in der Geschichte“ titelte `The Guardian` vor einiger Zeit. Nach Veröffentlichung der letzten Verbrauchszahlen, insbesondere von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung, stimme ich diesem Satz zu. Eine Zivilgesellschaft, die einen Kollateralschaden von 20.000 – 40.000 Toten als Preis für die Produktion von Billigfleisch toleriert, ist obszön und nicht mehr meine. Reserveantibiotika sind erfunden worden, um Menschenleben auf Intensivstationen zu retten und nicht, um Billigfleisch zu produzieren. Wir, die Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung, fordern als erste Maßnahme ein sofortiges Verbot des Einsatzes von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung!«
Auch beim Thema Nitrat-/Stickstoffbelastung gab es ein überraschendes Ergebnis: Den Berechnungen der Universität Augsburg zufolge ergeben sich für Deutschland allein durch die Nitrat-/Stickstoffbelastung externe Folgekosten von über 10 Milliarden Euro jährlich. Darunter fallen zum Beispiel die Kosten für die Reinigung des Trinkwassers oder Kosten des Gesundheitssystems durch Folgeerkrankungen. Dies ist, beispielsweise gemessen an der Bruttowertschöpfung der gesamten deutschen Landwirtschaft (17,40 Mrd. Euro in der Saison 2014/15), ein sehr großer Betrag.
Dr. Tobias Gaugler von der Universität Augsburg fasst zusammen: „Wenn die Folgekosten, insbesondere der konventionellen Nutztierhaltung, auch weiterhin unzureichend Eingang in die Preise finden, fördert das die Überproduktion sowie den Konsum hieraus resultierender Nahrungsmittel. Diese Form von Marktversagen lässt außerdem nachhaltig(er) erzeugte Lebensmittel teuer erscheinen und führt letztlich zu einem ökonomischen Wohlfahrtsverlust! Anders gesagt: Aus volkswirtschaftlicher Sicht handelt es sich um eine erhebliche Preis- und Marktverzerrung.“
Laut Dr. Anita Idel, Tierärztin, Mediatorin und Lead-Autorin im Weltagrarrat, braucht es eine neue Vision des Landwirtschaftssystems, um diese negativen Folgen zu vermeiden: „Das Potential der Ökologisierung der Landwirtschaft ist noch weit größer! Aber jährlich fließen Millionen zur Schadensbegrenzung in die Forschung, die die weitere Intensivierung zementiert. Stattdessen gilt es, innovativ zu erforschen, wie Tiere aktiv in der Freilandhaltung zu einer natürlichen Düngung beitragen können. Genau so sind viele Böden entstanden!“
Die Studie im Überblick
„Monetarisierung externer Effekte in der Landwirtschaft“
Im Rahmen der Studie waren die Wissenschaftler der Frage nachgegangen, was Lebensmittel wirklich kosten. Denn die Preise, die Verbraucher bezahlen, spiegeln die wahren Kosten nur unzureichend wider. Soziale, gesundheitliche und ökologische (Folge-) Kosten der Nahrungsmittelproduktion sind in den aktuellen Marktpreisen oftmals nicht enthalten. In der Augsburger Studie wurden zwei von mindestens einem Dutzend Folgekosten-Faktoren der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft – Antibiotikaresistenzen und Nitrat-/Stickstoffbelastung – sowie ihre Auswirkung auf die Preisentwicklung von Lebensmitteln berechnet.
1. Multiresistente Keime: „Das bringt uns noch um“ – und keiner tut etwas
Antibiotika zählen zu den wichtigsten Medikamenten auf der Welt. Durch fehlerhaften Einsatz können sich antibiotikaresistente Krankheitserreger bilden, gegen die keine Antibiotika mehr wirken. Ursache für die Resistenzbildung ist sowohl der Einsatz in der Human- als auch in der Tiermedizin – mit dem Unterschied, dass die Verabreichung von Antibiotika in der Tierhaltung vermieden bzw. drastisch reduziert werden kann, wenn die Rahmenbedingungen der Tierhaltung verändert werden – weg von industrieller Intensivtierhaltung hin zu artgerechter, Haltung: die Vorgaben der ökologischen Landwirtschaft weisen den Weg. Im Fokus der Augsburger Studie stand das antibiotikaresistente Bakterium LA-MRSA, das seinen Ursprung beim Nutztier hat. Besonders betroffen davon sind Landwirte und Tierärzte, denn jeder vierte Mensch, der beruflich mit Schweinen und Hühnern zu tun hat, ist LA-MRSA-positiv. Das Risiko einer Erkrankung in Regionen mit hoher Viehbesatzdichte ist sogar acht Mal höher, als in Regionen mit durchschnittlicher Besatzdichte.
2. Nitrat-/Stickstoffbelastung: Nitrathaltige Düngemittel kosten Deutsche mindestens 10 Milliarden Euro
Bei der Düngung landwirtschaftlich genutzter Böden entstehen häufig reaktive Stickstoffüberschüsse, die dem Ökosystem, dem Klima und der Gesundheit des Menschen schaden. Die daraus resultierenden Kosten entstehen häufig erst zeitlich versetzt. Deshalb ist es schwierig, sie dem Verursacher des Stickstoffproblems zuzuschreiben, so dass sie der Allgemeinheit auferlegt werden.
Den Berechnungen der Universität Augsburg zufolge ergeben sich für Deutschland durch den Stickstoffeintrag externe Folgekosten von über 10 Milliarden Euro jährlich. Darunter fallen zum Beispiel die Kosten für die Reinigung des Trinkwassers oder Kosten des Gesundheitssystems durch Folgeerkrankungen. Auf die Lebensmittelpreise umgelegt, entspräche das einem Preisaufschlag von fast zehn Prozent für konventionell-tierische Lebensmittel; für biologisch-tierische Nahrungsmittel lägen die Mehrkosten bei nur vier Prozent.
Die Studie nimmt nur zwei Faktoren der möglichen Folgekosten in den Blick. Bereits die Untersuchung dieser beiden Faktoren macht die Richtung deutlich: Würden alle negativen Folgen der industriellen Landwirtschaft für Mensch, Tier und Umwelt auf den Preis unserer Lebensmittel aufgeschlagen, würde das Preispendel sehr schnell zugunsten der ökologisch erzeugten Lebensmittel ausschlagen.
Stephanie Weigel vom Aktionsbündnis „Artgerechtes München“ dazu: „Die Landeshauptstadt München ist mit ihren Kinderbetreuungseinrichtungen, Krankenhäusern und städtischen Institutionen, eigenen Kantinen und Großveranstaltungen Großverbraucherin. Sie hat großen Einfluss und damit auch große Verantwortung, sowohl was die Nachfrage anbelangt, als auch was die politische Signalwirkung angeht. In Kürze stehen zwei Stadtratsentscheidungen dazu an. Als Aktionsbündnis „Artgerechtes München“ fordern wir, dass die Landeshauptstadt in ihrem Wirkungskreis nur noch Produkte aus artgerechter Tierhaltung zulässt!“
Das Aktionsbündnis „Artgerechtes München“
Das im Mai 2015 vom Tollwood Festival gegründete Aktionsbündnis zählt aktuell über 37.000 Unterstützer, darunter 600 namhafte Vertreter der Stadtgesellschaft. Sie alle engagieren sich dafür, dass die Landeshauptstadt München in ihrem Wirkungskreis nur noch Produkte aus artgerechter Tierhaltung zulässt. Bereits im September 2014 ergab eine repräsentative Umfrage von TNS Emnid, dass 85 Prozent der Münchnerinnen und Münchner eine Landeshauptstadt wünschen, die auf Produkte aus artgerechter Haltung setzt und auch bereit wären, den Mehrpreis dafür zu bezahlen. Dass dies bezahlbar ist, zeigt ein unabhängiges Gutachten von a’verdis.
Unterstützung erfährt das Aktionsbündnis von allen Seiten: Unternehmen wie die Hofpfisterei und Münchner Kindl Senf, Verbände wie die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern e. V., Slow Food München, der Seniorenbeirat München oder PROVIEH, sind ebenso dabei wie KünstlerInnen, MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen, der Münchner Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, Karl Ludwig Schweisfurth oder Konstantin Wecker. Mitmachen beim Aktionsbündnis „Artgerechtes München“ kann jeder. Weitere Informationen und Mitmachen unter www.artgerechtes-muenchen.de